SERIE

25 Jahre IGBCE

Handschlag zum Start: Der erste IGBCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt und sein Stellvertreter Klaus Südhofer.

Foto: IGBCE Archiv

Kräfte bündeln

Im Herbst feiert die IGBCE ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre, in denen sich viele Frauen und Männer engagiert haben — für die Interessen unserer Mitglieder, für soziale Gerechtigkeit, für die Gesellschaft. Die Wurzeln der Organisation reichen noch tiefer. In der erste Folge einer mehrteiligen Serie zum Geburstag blicken wir zurück auf die Geschichte unserer IGBCE.

Herbst 1991: Die Ankündigung einer Fusion von IGBE und IG Chemie, der sich gut ein Jahr später auch die Gewerkschaft Leder anschloss, lieferte bundesweit Schlagzeilen. Denn eigentlich konzentrierten sich die deutschen Arbeitnehmerorganisationen zu der Zeit auf das Zusammenwachsen von Ost und West. Der angestrebte Zusammenschluss von IG Bergbau und Energie, IG Chemie-Papier-Keramik und der Gewerkschaft Leder zur IGBCE glich einer Sensation.

Der damalige Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe erklärte den Schritt so: »Das sind Partner mit übereinstimmenden politischen Grundeinschätzungen zur Bundesrepublik und ihrer Entwicklung, das sind Partner im Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.« »Denn«, so hieß es in einer zeitgenössischen Dokumentation, »nur wer beizeiten seine Kräfte bündelt, kann die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bestehen.«

Herausforderungen gab es viele: Branchen wie der Bergbau schrumpften. Neue Technologien hielten Einzug, es gab immer mehr Dienstleistungsjobs und Angestellte, die Zahl der Arbeiterinnen und Arbeiter dagegen nahm ab. Und: Die Branchen Bergbau und Chemie waren immer stärker von politisch gesteckten Rahmenbedingungen abhängig. Da galt es Stärke und Durchsetzungskraft zu zeigen. Hinzu kam die Situation innerhalb des DGB. Schon einige Zeit wurde über Reformen diskutiert. Ohne Ergebnis. Die Reaktion von IGBE-Chef Hans Berger: »Wenn die Reform nicht von oben zu verwirklichen ist, müssen wir sie von unten in Gang bringen.«

1992 wurde ein erstes Kooperationsabkommen unterzeichnet, das klare Ziel: die Bündelung der vorhandenen Kräfte, die Stärkung der Organisation sowie die Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeit im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder. Man begegne damit »den Herausforderungen, die durch die Schaffung der deutschen Einheit sowie durch die vermehrten Aufgaben im zusammenwachsenden Europa entstanden sind«.

Auf dem offiziellen Gründungskongress vom 6. bis 10. Oktober 1997 in Hannover wurde schließlich Hubertus Schmoldt zum ersten Vorsitzenden der IGBCE gewählt. Die junge Gewerkschaft kann dabei auf eine mehr als hundert Jahre zurückreichende Historie ihrer Vorläuferorganisationen zurückschauen.

Ein Blick auf die Vorgeschichte lohnt sich: Die industrielle Revolution ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte grundlegend Umbrüche nach sich gezogen. Das Land entwickelt sich vom Agrar- zum Industriestaat. Arbeiter*innen und ihre Familien leiden unter langen Arbeitszeiten, schlechten Löhnen, miesen Wohnverhältnissen, oft auch Hunger. Es braucht Solidarität, Zusammenhalt, gemeinsame Aktionen, erste Gewerkschaften entstehen: in den 1860er- und 70er-Jahren die Vorläufer der Gewerkschaft Leder, 1890 auf reichsweiter Ebene der »Alte Verband« der Bergleute sowie der »Fabrikarbeiterverband« in der chemischen Industrie.

Eine Zäsur bildet die Machtübernahme 1933 durch die Nazis. Gewerkschaften werden verboten, Funktionäre ins KZ gesperrt, ermordet. Mit dem Zweiten Weltkrieg stürzen die Nazis 1939 die Welt ins Unglück.

Nach dem Krieg sind Gewerkschaftsmitglieder führend beim Wiederaufbau der Firmen. Auch daraus ergibt sich die Forderung nach mehr Mitgestaltung in Betrieb und Wirtschaft. Ein großer Erfolg gelingt 1951 der Bergbau-Gewerkschaft mit der Montanmitbestimmung. Unter dem Motto »Samstags gehört Vati mir« kann 1959 in der Steinkohle die Fünf-Tage-Woche durchgesetzt werden. Zugleich liegen schwere Schatten über der Steinkohle. Zehntausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Der Marsch auf Bonn beweist 1959 die Kraft der Gewerkschaft.

Eine neue Herausforderung bietet die »geistig-moralische Wende« der Ära Kohl. Wichtige Sozialleistungen werden einkassiert. Der IG Chemie gelingt Ende der 80er-Jahre dennoch ein tarifpolitischer Durchbruch. Der Entgelttarifvertrag hebt erstmals die Trennung zwischen Arbeiter*innen und Angestellten auf.

Die Maueröffnung am 9. November 1989 führt zur Wiedervereinigung, Ost- und West-Gewerkschaften schließen sich zusammen. Auf die 1997 gegründete IGBCE warten schwierige Aufgaben: Die Koalition von CDU und FDP beschneidet Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz. Ein Chemie-Tarifvertrag »repariert« die Kürzung. Zugleich überwindet die IGBCE die Grenzen traditioneller Tarifpolitik. Der innovative Tarifvertrag über Altersteilzeit sichert Arbeitsplätze, der Vertrag zur Altersversorgung schafft ein zusätzliches Standbein zur Rente.

Dauerthema bleibt die Energiepolitik: Als die schwarz-gelbe Regierung vereinbarte Kohlehilfen drastisch zurückfahren will – und dadurch 60 000 von 85 000 Jobs im Steinkohlenbergbau auf dem Spiel stehen – beteiligen sich 1997 rund 200 000 Menschen an einer 200 Kilometer langen Menschenkette quer durch das Revier. Betriebsbedingte Kündigungen können abgewendet werden. Später droht erneut Ende des Steinkohlenbergbaus. Die IGBCE will sich den 2007 vereinbarten Kompromiss nicht zerstören lassen. Das von der EU angesagte frühere Ende 2014 wird abgewendet. Der Bergbau läuft bis 2018. Und niemand fiel ins Bergfreie.

Die IGBCE beschreitet unterdessen immer wieder neue, pragmatische Wege im Dienst ihrer Mitglieder: Als die Politik die Rente mit 67 beschließt, steuert die IGBCE mit dem Tarifvertrag Lebensarbeitszeit und Demografie dagegen. Die tarifliche Pflegeversicherung CareFlex Chemie (2019) ist einzigartig in Deutschland. Das »Potsdamer Modell« (2017) schafft flexible Arbeitszeitmodelle. Themen wie Work-Life-Balance und Gute Arbeit rücken in den Fokus. Auch technologisch bleiben wir am Ball: Über die App »Meine IGBCE« sind heute für Mitglieder alle notwendigen Informationen jederzeit zugänglich. So geht Solidarität heute.

Rudi Heim

Fotos (4): IGBCE Archiv, Axel Stefan Sonntag