Ergebnisse statt nur Parolen
Ergebnisse statt nur Parolen
Lars Ruzic
Chefredakteur
Es mag nach Klischee klingen, aber es ist nun einmal so passiert: Fast bis 5 Uhr in der Früh saßen die Verhandlungsteams von IGBCE und Chemie-Arbeitgebern zusammen, rangen um die Details eines möglichen Kompromisses – und brauchten dann doch noch den »Morgen danach«, um wirklich den letzten Feinschliff an dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Lösung vornehmen zu können.
Außergewöhnlich waren schon die Umstände, unter denen die Tarifverhandlungen für die 580 000 Beschäftigten der chemisch pharmazeutischen Industrie stattfanden. Ein ebenso verabscheuungswürdiger wie irrsinniger Krieg mit seinen dramatischen Folgen an den Rohstoffmärkten und der Sorge um einen Gaslieferstopp hat nicht nur die ohnehin schon hohe Teuerung in ungekannte Höhen schnellen lassen, sondern in der ganzen Branche (wie in anderen energieintensiven auch) sehr akute Zukunftsängste ausgelöst. Außergewöhnlich war aber auch der Umgang der Tarifparteien mit dieser Herausforderung. Noch vor dem Start der Verhandlungen auf Bundesebene bot die IGBCE an, eine Brücke zu bauen über dieses Tal der Unsicherheit und kreative Lösungen in Zeiten von Krieg und Inflation zu finden. Eine Brücke, über die die Arbeitgeber schließlich auch gegangen sind. Das führte wiederum zu einem außergewöhnlichen Verhandlungsergebnis: einer Brückenzahlung, die für breite Belegschaftsschichten zunächst den Druck vom Inflationskessel nimmt. Und gleichzeitig die Verabredung, sich im Oktober wiederzutreffen und dauerhafte Entgelterhöhungen auszuhandeln, wenn man – hoffentlich – klarer sieht.
So verwundert es nicht, dass die Medien am Ende diese Zwischenlösung als »wegweisend«, als »Sieg der Tarifautonomie« feierten und die IGBCE als Gewerkschaft lobten, die »Krise kann«. Die überwältigende Zahl der Mitglieder reagierte ähnlich. Ich weiß nicht, wie es dir geht – aber für mich fühlt es sich gut an, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die nicht nur Parolen skandiert, sondern wirklich etwas bewegt für ihre Mitglieder und die Gesellschaft insgesamt. Und wenn es dafür bis 5 Uhr früh dauern muss.