VOR ORT: Hessen-Thüringen
Gut gewählt: Mehrheit in vielen Betriebsräten
wiesbaden | Trend zur Briefwahl/Generationenwechsel gelingt: Die Betriebsratswahlen im Landesbezirk
Die Betriebsratswahlen in den fünf Bezirken des Landesbezirks Hessen-Thüringen laufen auf Hochtouren. In etwa der Hälfte der rund 500 Betriebe haben die Beschäftigten schon gewählt, in den übrigen werden sie es bis Ende Mai tun. Dabei sind auch einige Betriebe, in denen zum ersten Mal Betriebsräte gewählt werden. Im Vorfeld haben die Kandidat*innen intensiv für sich – zum Teil – sehr kreative Werbung gemacht. Zum Beispiel bei einem Betrieb mit individuellen Videos, die sich über QR-Codes auf dem Kandidat*innen-Flyer abrufen lassen.
Es zeichnet sich ab, dass in den meisten Betriebsräten die IGBCE-Vertreter*innen in der Mehrheit sind. Zum Beispiel bei Merck in Darmstadt, wo sie ihren Anteil von 70 auf 72 Prozent ausbauten. Bei Evonik in Hanau gingen 22 von 23 Betriebsratssitzen an Mitglieder der IGBCE. Bei einer ganzen Reihe von Betrieben gingen sogar alle Sitze an Mitglieder der IGBCE. Etwa bei Veritas in Gelnhausen und bei Grillo Werke in Frankfurt. Bedingt durch Corona klar im Trend: die Briefwahl. Geschätzt hat sich die Zahl der Briefwähler*innen verdoppelt. In manchen Betrieben gingen mehr als drei Viertel der Stimmen auf dem Weg ein. Bei Merck beispielsweise waren etwa 6000 von rund 7000 abgegebenen Stimmen Briefwahl-Stimmen.
Der Generationenwechsel gelingt den ersten Trends zufolge. Die Betriebsräte wer-den jünger – und weiblicher. Besonders wichtig für die Kolleg*innen, die jetzt zum ersten Mal diese Arbeit machen: Die Einführungsseminare, die die Bezirke und der Landesbezirk in Zusammenarbeit mit der BWS vor Ort anbieten. Auch, um sich mit Betriebsrät*innen aus ihrer Region zu vernetzen.
Deusa: Zurück im Tarif
bleicherode | Seit dem 1. April ist der Bergwerksbetrieb Deusa International GmbH wieder in Tarifbindung. Dort arbeiten rund 260 Beschäftigte. Nach umfangreichen Verhandlungen hat die IGBCE mit dem Unternehmen einen Firmentarifvertrag abgeschlossen. Danach sinkt die wöchentliche Arbeitszeit von 42 auf 40 Stunden – bei vollem Lohnausgleich.
Der Tarifvertrag regelt die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen: Zum 1. April erhöhen sich die Brutto-grundentgelte um 3,1 Prozent. Ab 1. Oktober gilt zudem eine neue Entgelttabelle. Die Nachtschichtzulage erhöht sich auf 25 Prozent pro Stunde. Es wurde eine Einfahrtprämie für Untertage von 8 Euro vereinbart. Außerdem haben ab dem kommenden Jahr alle Beschäftigten einen Anspruch auf mindestens 27 Urlaubstage.
Voss will in die Fläche
gründau | Die Beschäftigten bei Voss Automotive in Gründau-Lieblos setzen auf die IGBCE: Mehr als zwei Drittel von ihnen sind Mitglied geworden, seit das Unternehmen Ende 2021 dem Arbeit-geberverband HessenChemie beigetreten ist. Insgesamt hat der Betrieb rund 250 Beschäftigte. Erst seit Kurzem gibt es einen Betriebsrat in dem Unternehmen, das vor der Übernahme durch die Voss-Gruppe ein Familienunternehmen war.
»Wir versuchen, für die Leute da zu sein«, sagt der Betriebsratsvorsitzende Martin Spinnler. »Wir wollen so schnell wie möglich eine Tarifbindung einführen.« In dem Betrieb werden Teile für die Autoindustrie hergestellt, zum Beispiel Ventiltechnologie für Elektrofahrzeuge. Der große Vorteil: Entwicklung, Werkzeugbau und Produktion sind in einer Hand: »Wir können ein Ventil entwickeln, alles dafür herstellen und das fertige Teil verkaufen.«
Ziel von IGBCE und Betriebsrat ist es, den Betrieb in den Flächentarifvertrag Kunststoff zu bringen. Eine erste tarifliche Vereinbarung wurde am 17. März abgeschlossen. »Wir haben eine Tarifkommission gewählt und eine Technische Kommission gebildet«, sagt Betriebsbetreuer Alexander Wiesbach. »Die Technische Kommission kümmert sich um die Eingruppierung. Die Tarifkommission soll einen Überleitungstarifvertrag verhandeln.«
Guter Abschluss — und im Herbst geht es weiter
wiesbaden | Sabine Süpke und Alexandra Friedrich zur Chemie-Tarifrunde
KOMPAKT: Ihr habt beide in der Achter-Kommission direkt mit den Arbeitgebern verhandelt. Wie muss man sich das vorstellen?
Alexandra Friedrich: Man sitzt sich da direkt gegenüber. Auf der einen Seite die acht IGBCE-Vertreter*innen, auf der anderen Seite die der Arbeitgeber. Dann diskutiert man über Themen und über Positionen. Am Montagmorgen war klar: Uns muss es hier und heute gelingen, ein Ergebnis hinzubekommen.
Sabine Süpke: Die Atmosphäre war sachlich-emotional. Wir mussten uns einander annähern. Während der Verhandlung haben wir dann gemerkt, wo die Schmerzgrenzen sind. Es ist erstaunlich, wie lange wir diskutiert haben, bevor uns die Arbeitgeber ein konkretes Angebot gemacht haben: um Mitternacht. Und das war inakzeptabel. Morgens um halb fünf waren wir dann nur noch ein kleines Stück auseinander.
Alexandra Friedrich: Werden die Arbeitgeber müde, sind wir die Stärkeren.
Nach zwei Stunden Schlaf habt ihr am nächsten Morgen abgeschlossen. Wie bewertet ihr den Abschluss?
Sabine Süpke: Nach den regionalen Verhandlungen war uns klar, dass wir wegen der außergewöhnlichen Situation einen Brückenvertrag machen wollten. Die Unternehmen befürchten Schwierigkeiten wegen des Kriegs in der Ukraine. Zurzeit allerdings ist die Auftragslage in der Branche gut. Und unsere Kolleg*innen, die die Betriebe am Laufen halten, sind in einer schwierigen Situation. Inflationsraten, wie wir sie jetzt haben, gab es schon lange nicht mehr. Deshalb war es so wichtig, jetzt einen Ausgleich dafür hinzukriegen – und das haben wir geschafft.
Wie kam das Ergebnis bei den Beschäftigten an?
Alexandra Friedrich: Sehr, sehr positiv. Wir haben gleich am Tag danach um fünf Uhr an den Werktoren gestanden und über die Brückenzahlung von 1400 Euro informiert. Die Kolleg*innen waren positiv überrascht, haben sich riesig darüber gefreut, und haben auch zur Kenntnis genommen, dass wir die Verhandlungen im Herbst weiterführen. Dann herrscht hoffentlich mehr Klarheit.
Was muss dann passieren?
Alexandra Friedrich: Wir brauchen einen dauerhaften Inflationsausgleich. Die Brückenzahlung ist in der Situation jetzt richtig gut. Aber nachhaltig ist eine Erhöhung nur, wenn sie sich auch in der Entgelttabelle widerspiegelt. Das müssen wir erreichen.
Sabine Süpke: Wir haben jetzt einen tollen Abschluss. 1400 Euro, das haben wir erreicht. In sieben Monaten verhandeln wir weiter. Eine ordentliche, tabellenwirksame Erhöhung zu erreichen, wird kein Spaziergang. Deshalb appellieren wir jetzt an alle, denen der Abschluss gefällt, die aber noch nicht Mitglied sind, uns zu unterstützen. Und uns durch Eintritt in die IGBCE für die Verhandlungen im Herbst den Rücken zu stärken.
Eindrücke von Aktionen zur Chemie-Tarifrunde 2022
Das sind die beiden Interviewten